Dahn im Juni 2006
Stolpersteinverlegung in Dahn
Von Otmar Weber
Am 28. Juni wurden in Dahn in der Weißenburgerstraße 2, Hasenbergstraße 4, Marktstraße 24, 20, 16, 14 und Kirchgasse 1 durch den Kölner Künstler Gunter Demnig dreizehn STOLPERSTEINE verlegt. Gunter Demnig macht seit 1995 durch seine Kunstaktion STOLPERSTEINE die Spuren einzelner Opfer des Nationalsozialismus wieder sichtbar. Auf kleinen Messingtafeln schlägt er ihre Namen und, soweit bekannt, ihr Schicksal ein. Die STOLPERSTEINE lässt er als Denkmale in den Bürgersteig ein, unmittelbar vor den ehemaligen Wohnstätten der Opfer. STOLPERSTEINE werden allen Gruppen gesetzt, die durch die Nationalsozialisten verfolgt und vernichtet wurden: Juden, Sinti und Roma, politisch und religiös Verfolgten, Euthanasieopfern, Homosexuellen und anderen Gruppen. Das Ziel der Nazis war die totale Vernichtung ihrer Opfer. Sie brandmarkten die Opfer durch eine Nummer auf ihrem Arm, ermordeten sie, verbrannten sie und zerstreuten zur endgültigen Auslöschung ihres Namens die Asche auf Feldern oder in Flüssen. Die Opfer sollten namenlos gemacht werden. Mit dem Holocaust ist somit nicht nur die Vernichtung des Lebens verbunden, sondern auch die für die Nachkommen so schmerzvolle Ausradierung des Namens und der Erinnerung. Das STOLPERSTEIN-Projekt ist ein bescheidener Versuch, die Opfer des Holocausts dem Vergessen zu entreißen, ihnen wieder ihren Namen und ihre Würde zu geben und sie in die Umgebung zurückholen, in der sie einst gelebt haben. Der eilige Passant soll zum Nachdenken und Fragen gebracht werden, wie es soweit kommen konnte und ob so etwas heute wieder möglich wäre? Die STOLPERSTEINE sind aus Beton gegossen und tragen auf der Oberseite eine 10 mal 10 Zentimeter große Messingtafel, in die der Name des Opfers und sein Schicksal eingestanzt sind. Die Steine werden plan in den Bürgersteig vor den Häusern eingesetzt, in denen die Opfer gewohnt haben oder geboren sind. Ein Stolperstein kostet inklusive Verlegung 94 Euro.* * Der Preis für einen Stolperstein hat sich später auf 120 Euro erhöht.
In einer ersten STOLPERSTEIN-Verlegung in Dahn, der zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere folgen soll, wurde in nachstehender Reihenfolge dreizehn NS-Opfern je ein Stein gesetzt:
In der Weißenburgerstraße 2 (heute Bushaltestelle) Steine Nr. 01, 02, 03, 04, 05 u. 06(01) Julius Levy, geboren am 29.09.1886 in Busenberg, wohnte in Dahn, Weißenburgerstraße 2, wo er mit seiner Frau Elsa, ein Geschäft betrieb. Julius Levy ist im Ersten Weltkrieg mit dem EK 2 (Eisernes Kreuz, 2. Klasse) wegen Tapferkeit vorm Feind ausgezeichnet worden. Während der sogenannten Reichskristallnacht 1938 und danach wurde die Familie Levy in der Weißenburgerstraße 2 in besonderer Weise drangsaliert. Am 01.09.1939 musste Julius Levy Dahn verlassen und ging mit seiner Familie nach Mannheim. Von dort wurde er am 22.10.1940 nach Gurs deportiert, war in verschiedenen Lagern in Südfrankreich, davon die längste Zeit im Camp Rivesaltes, interniert. Julius Levy wurde am 26.08.1942 über Drancy/Paris mit dem Transport Nr. 24 nach Auschwitz deportiert und ist dort umgekommen.
(02) Elsa Levy, geborene Rosenstiel, die Frau von Julius Levy, ist am 12.12.1894 in Dahn geboren und wohnte in der Weißenburgerstraße 2. Elsa Levy musste am 01.09.1939 Dahn verlassen und ging mit ihrer Familie nach Mannheim. Von dort wurde sie am 22.10.1940 nach Gurs deportiert, war in verschiedenen Lagern in Südfrankreich, davon die längste Zeit im Camp Rivesaltes, interniert. Elsa Levy wurde am 26.08.1942 von Rivesaltes über Drancy/Paris mit dem Transport Nr. 24 nach Auschwitz deportiert und ist dort umgekommen.
(03) Levy, Helmut, Sohn von Julius und Elsa Levy, ist am 03.04.1925 in Dahn geboren und wohnte in der Weißenburgerstraße 2. Helmut Levy musste am 01.09.1939 Dahn verlassen und ging mit seinen Eltern nach Mannheim. Von dort wurde er am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. Er war in verschiedenen Lagern in Südfrankreich und in Brest/Normandie als Zwangsarbeiter beim Bau des Atlantikwalls eingesetzt. Helmut Levy wurde am 07. September 1942 über Drancy/Paris mit dem Transport Nr. 29 nach Auschwitz deportiert; in Cossel, eine Station vor Auschwitz, zur Zwangsarbeit ausselektiert und bis Ende 1944 als Arbeitssklave eingesetzt. Im Januar 1945 gelangte er auf einem der Todesmärsche von Auschwitz in das KZ Buchenwald bei Weimar. Hier ist Helmut Levy kurz vor seiner Befreiung im Februar 1945 umgekommen. Vermutetes Todesdatum ist der 23.02.1945 im KZ Buchenwald
(04) Ludwig Levy, ein Bruder von Julius Levy, ist am 19.03.1878 in Busenberg geboren, wohnte in der Pirmasenserstraße 32 und ab 1935 bei seinem Bruder in der Weißenburgerstraße 2. Ludwig Levy ist im Ersten Weltkrieg mit dem EK 2 (Eisernes Kreuz, 2. Klasse) wegen Tapferkeit vorm Feind ausgezeichnet worden. Für ein Kriegsleiden, das er sich bei einer Verschüttung im Schützengraben zugezogen hatte, wurde er noch verspottet. Ludwig Levy musste am 01.09.1939 Dahn verlassen und ging nach Mannheim. Von dort wurde er am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. Er war in verschiedenen Lagern in Südfrankreich, davon die längste Zeit im Camp Noé, interniert. Ludwig Levy wurde 1942 über Drancy/Paris nach Auschwitz deportiert und ist dort umgekommen.
(05) Blüta (Barbara) Levy, eine Schwester von Julius und Ludwig Levy, ist am 24.11.1880 in Busenberg geboren, wohnte in der Pirmasenserstraße 32 und ab 1935 bei ihrem Bruder Julius Levy in der Weißenburgerstraße 2. Blüta (Barbara) Levy musste am 01.09.1939 Dahn verlassen und ging nach Mannheim. Von dort wurde sie am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. Sie war in verschiedenen Lagern in Südfrankreich, davon die längste Zeit im Camp Noé, interniert. Blüta (Barbara) Levy wurde 1942 von Noé über Drancy/Paris nach Auschwitz deportiert und ist dort umgekommen.
(06) Helene Rosenstiel, eine Schwester von Elsa Levy, geborene Rosenstiel, ist am 05.08.1889 in Dahn geboren und wohnte in der Weißenburgerstraße 2. Helene Rosenstiel musste am 01.09.1939 Dahn verlassen und ging nach Mannheim. Von dort wurde sie am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. Sie war in verschiedenen Lagern in Südfrankreich, davon die längste Zeit im Camp Noé, interniert. Helene Rosenstiel wurde am 14. August 1942 über Drancy/Paris mit dem Transport Nr. 19 nach Auschwitz deportiert und ist dort umgekommen.
(07) Pater Ingbert Naab, geboren am 05.11.1885 in Dahn, Hasenbergstraße 4, trat 1906 bei den Kapuziner in Laufen in das Noviziat ein, absolvierte von 1906 bis 1910 sein Theologiestudium in Eichstätt und wurde am 29.06.1910 im Dom zu Eichstätt zum Priester geweiht. Ingbert Naab war ein Meister der Zeitanalyse und ein lautstarker Kämpfer für Wahrheit und Recht. Gegen Ende der Weimarer Republik wurde der Kapuzinerpater zum klaren Seher, zum eindringlichen Warner und zum gewissenhaften Verfechter katholischer Grundsätze. Bereits beim Hitlerputsch 1923 warnte er die Schüler höherer Schulen in Aufsätzen und Vorträgen vor dem totalitären Anspruch des Nationalsozialismus. Seine Warnungen vor dem Nationalsozialismus und vor der Person Hitler wurden in den Jahren 1931 bis 1933 immer massiver und aggressiver. Spätestens mit seinem „Offenen Brief an Hitler“ vom 20. März 1932, wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Pater Ingbert Naab galt den Nationalsozialisten als Todfeind. Er machte sich keine Illusionen, dass er nach der Machtergreifung der Nazis mit dem Schlimmsten rechnen musste. In seinem Kampf für die Wahrheit hatte er das Beispiel der Propheten vor Augen. deren Aufgabe es war, in Zeiten großer Katastrophen, sich mit unbeugsamem Mut vor Land und Volk zu stellen. Pater Ingbert Naab konnte sich durch Flucht den NS-Häschern entziehen und starb 49jährig am 28.03.1935 Tod um 11.22 Uhr in Königshofen/Elsaß in der Emigration. 1953 wurde er exhumiert, nach Eichstätt überführt und dort bestattet.
(08) Sigmund Rosenstiel, geboren am 18.04.1875 in Dahn, wohnte in der Marktstraße 24, wo er ein Geschäft betrieb. Auf perfides Betreiben des Ortsgruppenleiters Zimmer wurde Sigmund Rosenstiel 1937 nach dem so genannten „Heimtückegesetz“ in „Schutzhaft“ genommen und zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt, die er im Gefängnis Frankenthal verbüßte. Sigmund Rosenstiel wurde wegen schwerer Krankheit vorzeitig aus dem Gefängnis Frankenthal entlassen und ist am 13.05.1938 in Schweinfurt bei seiner Tochter Meta, verheiratete Serrand, gestorben. Sigmund Rosenstiel ist auf dem jüdischen Friedhof bei Schweinfurt beerdigt. Er war der erste Dahner Jude, der Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns geworden ist.
(09) Josef Kullmann, geboren am 19.01.1853 in Busenberg, wohnte in Dahn in der Marktstraße 20 bei Familie Halfen. Während der NS-Zeit (Mitte der 1930er Jahre) ist er nach München verzogen. Von dort wurde er am 12.06.1942 mit neunundachtzig Jahren nach Theresienstadt deportiert, wo er umgekommen ist. Sein Sohn Sigmund Kullmann ist als Leutnant Anfang des Ersten Weltkrieges gefallen. Er ist auf dem jüdischen Friedhof Busenberg beerdigt. Sein Name ist auf dem Gefallenendenkmal von 1914-1918 in Dahn eingetragen.
(10) Marianne Katz, Frau von Julius Katz und Schwägerin von Josef Katz, geborene Simon, geboren am 26.05.1886 in Trier, wohnhaft in Dahn, Marktstraße 16. Marianne Katz zog 1939 nach Speyer. Ihr Gepäck zur Auswanderung in die USA war gepackt und das Geld von den Verwandten aus den USA überwiesen. Sie wurde am 22.10.1940 von Speyer nach Gurs deportiert und war in verschiedenen Lagern in Südfrankreich. Am 28.08.1942 wurde Marianne Katz über Drancy/Paris mit dem Transport Nr. 25 nach Auschwitz deportiert und ist dort umgekommen. Marianne Katz wollte ihrem Mann, Julius Katz, der am 13.07.1938 in Dahn gestorben und auf dem jüdischen Friedhof in Busenberger beerdigt ist, einen Grabstein setzen. Rabbiner Dr. Nellhaus aus Pirmasens riet ihr, den Betrag für den Grabstein zur Auswanderung der Juden nach Palästina zu spenden, was Frau Katz auch tat. So hat Julius Katz bis heute keinen Grabstein erhalten.
(11) Josef Katz, geboren am 22.08.1870 in Dahn, wohnte in der Marktstraße 14, wo er zusammen mit seinem Bruder Julius in der Marktstraße 16 ein Geschäft betrieb. Im August 1938 zog Josef Katz mit seiner Frau Thekla und Tochter Lore von Dahn nach Ludwigshafen/Rhein in die Prinzregentenstraße 26. Von dort wurde er am 22.10.1940 mit seiner Familie nach Gurs deportiert. Tochter Lore Katz hat in einem Nonnenkloster, versteckt als Laure Keller, überlebt. Sie wohnt heute in Philadelphia/USA und ist eine verheiratete Wertheimer. Am 11.03.1941 kam Josef Katz von Gurs nach Rivesaltes. Wegen eines Prostataleidens wurde er nach Perpignan in ein Krankenhaus gebracht. Am 08.11.1943 wurde Josef Katz todkrank auf einer Bare aus dem Krankenhaus abgeholt, nach Rivesaltes zurückgebracht und am 20.11.1943 über Drancy/Paris mit dem Transport Nr. 62 nach Auschwitz deportiert, wo er umgekommen ist.
(12) Thekla Katz, Frau von Josef Katz, geborene Teutsch, geboren am 24.09.1881 in Venningen, war wohnhaft in Dahn, Marktstraße 14. Thekla Katz ist im August 1938 von Dahn nach Ludwigshafen/Rhein in die Prinzregentenstraße 26 gezogen. Von dort wurde sie am 22.10.1940 ins Camp Gurs deportiert, wo sie am 14.12.1940 an Ruhr gestorben ist. Thekla Katz ist auf dem Lagerfriedhof in Gurs beerdigt. Ihr Grabstein trägt die Nr. 393.
(13) Pfarrer Jakob Schwalb, geboren am 04.08.1872 in Hettenleidelheim, wurde am 22. 08.1897 zum Priester geweiht, war von 1912 bis 1933 Pfarrer und Dekan in Göllheim, wurde dort in der Nacht zum 23.06.1933 von den Nationalsozialisten schwer misshandelt, verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen. Um ihn aus der Schusslinie der Nazis zu nehmen, wurde er als Pfarrer nach Dahn versetzt. Am 25.08.1934, zehn Monate nach der Übernahme der Pfarrei Dahn, stirbt Pfarrer Jakob Schwalb im Theresienkrankenhaus in Mannheim an den Folgen der erlittenen Misshandlungen. Er ist in seinem Heimatort Hettenleidelheim beerdigt.
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