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Dahn im März 2000


Mit Kriegsgefangenen die Löcher gestopft – Einführung

Von Otmar Weber



Etwa 8 Millionen Menschen aus ganz Europa haben in Deutschland Zwangsarbeit geleistet. Sie waren in den unzähligen kriegswichtigen Betrieben beschäftigt. Kriegswichtige Arbeitsplätze befanden sich aber nicht nur in Munitionsfabriken, Flugzeugwerken, Bergwerken und Großbetrieben, sondern auch in landwirtschaftlichen und handwerklichen Betrieben.
Jeder vierte Arbeitsplatz war 1944 im Deutschen Reich mit Zwangsarbeitern besetzt. Vier Millionen von ihnen waren Frauen. Dazu kamen 500 000 KZ-Häftlinge und 2,5 Millionen Kriegsgefangene. Insgesamt haben über 10 Millionen Menschen aus fast allen Ländern Europas für den deutschen Endsieg geschuftet.
In den Flugzeugwerften betrug die Arbeitszeit für Männer 72 Stunden, für Frauen und Jugendliche 60 Stunden in der Woche. Das Essen war schlecht und ungenügend. Schläge waren an der Tagesordnung. Diese Menschen mussten hart arbeiten, bekamen wenig zu essen, wurden diskriminiert und drangsaliert. Für sie wurde sogar ein eigenes Brot gebacken, das sogenannte Russenbrot. Es bestand aus 50 % Roggenmehl, 20 % Rübenschnitzel, 20 % Lauch und 10 % gemahlenem Stroh. (Göring 1941: Der Russe ist genügsam). Untergebracht waren sie in Baracken hinter Stacheldraht. Die Verhältnisse der Zwangsarbeiter waren gegen Kriegsende katastrophal.
Abgesehen von den Menschen, die in KZs und Vernichtungszentren ausgebeutet wurden, lassen sich diejenigen, die während des 2. Weltkrieges zur Arbeit in Deutschland eingesetzt waren, in drei große Gruppen einteilen.

1. Kriegsgefangene
Bei dieser Gruppe handelte es sich meistens um Franzosen, Italiener, Jugoslawen, Polen und Russen, die in bewachten Lagern untergebracht waren. Viele Zeitzeugen berichten, dass die Gefangenen unter Hunger und unter den Schikanen unbarmherziger Aufseher litten. Einzelne Gefangene oder auch Gruppen wurden gegen einen geringen Kostensatz an Landwirte, Kleinbetriebe, Handwerker und Privatleute ausgeliehen. Sie wurden morgens im Lager abgeholt und abends wieder dorthin zurückgebracht. Arbeiten bei Bauern und Privatleuten waren bei den Gefangenen beliebt. Hier wurden sie in der Regel menschlich behandelt, bekamen genug zu essen und konnten oft etwas Essbares für Kameraden ins Lager mitbringen. In der VG Dahn befanden sich folgende Kriegsgefangenenlager: Bobenthal, Busenberg, Dahn, Dahn-Bärenbrunnerhof, Dahn-Reichenbach, Erfweiler, Fischbach, Hirschthal, Ludwigswinkel, Rumbach und Schönau.

2. Ostarbeiter bzw. Zivilarbeiter
Bei dieser Gruppe handelte es sich vor allem um Ukrainer und Polen, die mehr oder minder freiwillig zur Arbeit im Deutschen Reich gewonnen wurden. Sie brachten manchmal ihre Familie mit. Diese Leute waren in Sammellagern (z.B. Eisenbahnlager Biebermühle), in Lagern auf Firmengelände (z.B. Sägewerk Thomasser, Dahn-Reichenbach) oder privat bei Bauern (so hatten fast alle landwirtschaftlichen Betriebe eine Zivilarbeiterin bzw. einen Zivilarbeiter), Handwerkern und Kleinbetrieben untergebracht. Dieser Gruppe ging es durchweg besser als den Gefangenen in den Lagern. In der Regel hatten sie genug zu essen, eine ordentliche Schlafgelegenheit und manchmal Familienanschluss.

3. Zwangsarbeiter
In dieser Gruppe waren Menschen, die sich im Sinne der NS-Herrscher schuldig gemacht hatten. Sie kamen aus allen besetzten Gebieten, hauptsächlich aber aus dem Osten. In der zweiten Hälfte des Krieges, als im Reich akuter Arbeitskräftemangel herrschte, genügte der geringste Vorwand, um Arbeitskräfte in den besetzten Gebieten einzufangen und zur Zwangsarbeit nach Deutschland zu bringen. Sie waren bevorzugt in KZs, Großbetrieben und der Rüstungsindustrie bei Schwerstarbeit eingesetzt.


In unserer Region waren hauptsächlich Menschen aus den beiden ersten Gruppen eingesetzt: Kriegsgefangene und Ostarbeiter bzw. Zivilarbeiter. Mit diesen Menschen versuchte man, die Lücken zu stopfen, die der Krieg in die arbeitende Bevölkerung gerissen hatte. Über Wochen, Monate, Jahre waren sie vor allem bei Kommunen (z.B. Dahn, Rumbach), der Reichsbahn (z.B. Pirmasens-Nord), in der Landwirtschaft (z.B. Bärenbrunnerhof/Bärenbrunnermühle) und in handwerklichen Betrieben (z.B. Sägewerk Thomasser, Dahn/Reichenbach) beschäftigt. Kriegsgefangene konnten für einen oder mehrere Tage auch von Privatleuten ausgeliehen werden. Von dieser Möglichkeit wurde - wie die Dahner Abrechnungslisten belegen - sehr reger Gebrauch gemacht.
Die Staffelung der Entlohnung war ideologisch begründet. So heißt es in einem Merkblatt vom 1.4.1943 an Unternehmer, die Kriegsgefangene in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigten: Der Unternehmer hat vom 1.4.1943 an für jeden Kr. Gef., gleich welcher Nation, und für jeden Arbeitstag RM 0,70 aufzuwenden. Die Kr. Gef. erhalten folgende Auszahlungsbeträge. 1. Grundlohn. a) sowjetische Kr. Gef. arbeitstäglich RM 0,20; b) polnische Kr. Gef. arbeitstäglich RM 0,50; c) sonstige Kr. Gef. arbeitstäglich RM 0,70. Sonntagsarbeit wird wie Werktagsarbeit gewertet; jedoch werden regelmäßig anfallende betriebsbedingte Arbeiten in der Landwirtschaft an Sonn- und Feiertagen nicht vergütet. Daneben ist freie Unterkunft und Verpflegung für jeden Kalendertag zu gewähren.
Die Gemeinde Dahn hat 1943 für Gefangene, die aus dem Arbeits-Kommando 1502 Dahn (Alte Schule) ausgeliehen wurden, Kostensätze festgelegt. Danach hatten Landwirte für einen Kriegsgefangenen monatlich RM 35,-- an die Gemeindekasse zu überweisen. Sonstige Arbeitgeber (Privatleute) hatten für einen Kriegsgefangenen in den Monaten April bis September einen Tagessatz von RM 2,50 und von Oktober bis März einen Tagessatz von RM 3,-- an die Gemeindekasse zu entrichten. Laut Lohnliste für den Monat November 1943 erhielt ein russischer Kriegsgefangener monatlich RM 9,10 (= RM 0,35 pro Tag) und ein französischer Kriegsgefangener monatlich RM 19,20.
Der Lohn, wenn überhaupt, wurde in Lagergeld ausgezahlt, ein Zahlungsmittel, das nur innerhalb des Lagers einsetzbar war und nicht für die schmalen Rationen durch Zukauf von Lebensmitteln verwandt werden konnte. Betteln war strengsten verboten!
Die Gefangenen arbeiteten nach Feierabend und an den Wochenenden gegen Lebensmittel bei Privatleuten. Ferner tauschten sie bei der Bevölkerung selbstgefertigte Schnitzwerke gegen Brot.
Die Ostarbeiter mussten in weißer Schrift auf blauer Binde die Bezeichnung OST tragen. In mehreren Rundschreiben aus dem Jahre 1944 werden genaue Angaben gemacht, wie groß das Volkstumsabzeichen sein muss, wo und wann es zu tragen ist. Für jeden Ostarbeiter waren drei Zeichen vorgesehen. Lieferant der Volkstumsabzeichen war die Berliner Fahnenfabrik Geitel & Co., Berlin C 2, Wallstraße 16.

Am 1. September 1944 wurden die säumigen Bürgermeister der Gemeinden des Landkreises Pirmasens von Landrat Weibel angemahnt, dass die Bestellungen über die erforderlichen Volkstumsabzeichen, umgehend, jedoch bis längstens 10.9.1944 vorzulegen sind. In dem Schreiben heißt es weiter: Bei den „Ost“-Arbeitern ist jedoch zu unterscheiden zwischen Ostarbeiter ukrainischen Volkstums (sowjetruss. Ukraine), Ostarbeitern Weißrutenischen Volkstums und Ostarbeitern russischen Volkstums. Weiter heißt es: Die Feststellung der Volkstumszugehörigkeit wird in erster Linie auf Grund eigener Angaben der „Ost“- Arbeiter erfolgen müssen. Die Gemeinde Dahn und das Sägewerk Thomasser haben daraufhin eine größere Anzahl Volkstumsabzeichen OST und den entsprechenden Zusatzbezeichnungen bestellt.
Mit dem Kriegsende und der Befreiung war das Leid dieser Menschen nicht zu Ende. Insbesondere die Gefangenen, Zwangsarbeiter und Zivilarbeiter aus der Sowjetunion mussten doppelt büßen. Nach der Rückkehr in ihre Heimat wurden sie als Verräter gebrandmarkt, vom KGB verhört und unter Stalin in sowjetische Lager als Zwangsarbeiter gesteckt. Ihren Aufenthalt in Deutschland mussten sie verheimlichen. Wer davon kam, musste die niedrigsten Arbeiten verrichten, z.B. Schweine misten, mit der Begründung: Du warst doch in Deutschland Eine Entschädigung haben diese Menschen bis heute nicht bekommen.
Am 23. Februar 2000 schrieb der Präsident der Industrie- und Handelskammer der Pfalz, Alex Wiesenhütter, 2500 Unternehmen in der Pfalz an. Er bittet die Geschäftsleitungen, sich mit einem finanziellen Beitrag an dem Milliardenfonds zu beteiligen, aus dem die noch lebenden ehemaligen NS-Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen entschädigt werden sollen.
Über 1,2 Millionen der Zwangsarbeiter sind heute noch am Leben, darunter etwa 139.000 ehemalige jüdische Sklavenarbeiter. Auf heute hochgerechnet dürfte die deutsche Reichswirtschaft mit über zehn Millionen Zwangsarbeitern etwa sechzig Milliarden Mark Gewinn gemacht haben.
Die noch Lebenden sollen aus dem Zehn-Milliarden-Topf eine Entschädigung erhalten. Im Gespräch sind bis zu 15.000 Mark für ehemalige Sklavenarbeiter in Konzentrationslagern und bis zu 5000 Mark für ehemalige Zwangsarbeiter in der Industrie.

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