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Dahn im Mai 2000


„Goldfasane“ unterbinden Arien des gefangenen Opernsängers



In Teil 6 unserer Serie dokumentieren wir Berichte von Zeitzeugen aus Dahn, Bobenthal, Busenberg, Fischbach und Ludwigswinkel. Hier Rumbach, Schönau, Rodalben, Donsieders und Gersbach.

Rumbach. Der Zeitzeuge A. Sch. berichtet: Die Kriegsgefangenen im Lager A waren hauptsächlich mit dem Abholzen der Wälder links der Straße in Richtung Schönau beschäftigt. Rechts der Straße zum Berg hin befanden sich die Westwallbunker. Mit den gefällten Bäumen sollte eine Art Panzersperre geschaffen werden, um den Alliierten Truppen den Vormarsch zu erschweren. Aus dem gleichen Grund haben russische Kriegsgefangene auch die Wälder im Brauntal zum Beißenberg hin abgeschlagen. An der Rechtshalde haben sie Schützengräben ausgehoben. Die Gefangenen litten Hunger. Aus einer Miete haben sie sich Rüben und Kartoffeln organisiert. Auch erfrorene Äpfel haben sie aufgesammelt.
Der Zeitzeuge A. F. berichtet: Im Lager A befand sich ein russischer Kriegsgefangener namens Mohammed, der aus Afghanistan stammte. Mohammed war Lehrer, sprach mehrere Sprachen, u. a. auch deutsch. Er hatte im Lager die Funktion eines Kapos. Da die russischen Kriegsgefangenen im Lager Hunger litten, tauschten sie aus Holz geschnitzte Elstern gegen Brot. Der Zeitzeuge A. F. brachte einmal Brot, Äpfel und ein Paar Arbeitsschuhe seines Großvaters, Schuhgröße 43, aufs Feld, wo Mohammed mit seinem Kommando eingesetzt war. Mohammed nahm ihn zur Seite und gab ihm einen Brief an eine Frau Katharina aus Rumbach mit. In diesem Brief bat Mohammed seine liebe Schwester Katharina um Zwiebeln, um einem Schwerkranken helfen zu können. Die russischen Kriegsgefangenen haben sich bei der hilfsbereiten Frau K. mit einer wunderschönen Tasche aus Strohkaro bedankt. Die Tasche hat noch lange nach dem Krieg ihren Zweck erfüllt. Der Zeitzeuge erinnert sich noch gut, wie Mohammed ihm erklärte, dass der Kommunismus und der Nationalsozialismus verbrecherische Systeme seien.
Bevor die Amerikaner einrückten - vor dem 18. Dezember 1944 - wurden die russischen Kriegsgefangenen über Nacht fortgeschafft.
Der Zeitzeuge A. Sch. berichtet über das Lager der Gemeinde Rumbach: Die Bewachung scheint hier etwas lockerer gehandhabt worden zu sein, denn die Kriegsgefangenen konnten außerhalb ihres Lagers Kartoffeln und Gemüse anbauen. An den Wochenenden haben sie bei Privatleuten für Essbares gearbeitet. Nach 1945 wurde die Fachwerkbaracke, in der die russischen Kriegsgefangenen untergebracht waren, zu drei oder vier Teilen an Rumbacher Dorfbewohner aufgeteilt, deren Häuser abgebrannt waren.

Schönau. Der Zeitzeuge P. K. berichtet: Von 1943 bis 1944 waren in Schönau etwa 100 italienische Gefangene (Badoglios) untergebracht. Die deutsche Wachmannschaft war im Ort bei Privatleuten einquartiert. Die Badoglios haben hinter dem Königsweiher den Damm gebaut, auf dem heute die Zufahrt zur Bildungsstätte Heilsbach führt. Abends haben die Kriegsgefangenen bei den Bauern für Lebensmittel gearbeitet. Die Bewachung ließ es manchmal zu, dass die Italiener im Wald Pilze suchen konnten. Beim Pilzesuchen ist ein Kriegsgefangener von einem Wachmann in der Schwobach (das erste Tal von Schönau in Richtung Rumbach auf der rechten Seite) erschossen worden. Unter den Italienern befand sich ein Opernsänger, der bei der Dorfbevölkerung wegen seines herrlichen Tenors sehr beliebt war. Die Leute brachten Lebensmittel zum Lager und reichten sie durch den Zaun. Zum Dank sang der Opernsänger beliebte Arien. Goldfasane (Politische Leiter der Partei in gelb-brauner Uniform) versuchten dieses Treiben zu unterbinden, indem sie die Leute vom Zaun und vom Lager wegjagten.

Rodalben. Die Zeitzeugin A.D. (geboren in Rodalben) berichtet. Noch heute erinnere ich mich mit Schrecken daran, wie die armen Menschen morgens in Lumpen gehüllt und in einem erbärmlichen Zustand durch die Schulstraße in Richtung Friedhofstraße zur Arbeit getrieben wurden. Als kleines Mädchen stand ich entsetzt am Fenster und warf den Elendsgestalten ein Stück Brot aus dem Fenster zu. Meine Mutter hatte Angst. Sie sagte zu mir: Das darfst du nicht, du bringst mich noch ins Gefängnis (KZ).

Donsieders. Der Zeitzeuge R. D. berichtet: Das Gefangenenlager befand sich in der Gastwirtschaft und Bäckerei Bettinger. Hier waren im Saal (Tanzsaal) gefangene Franzosen untergebracht. Sie wurden morgens durch einen Wachmann abgeholt, zu den einzelnen Bauern gebracht und abends wieder ins Lager zurückgeführt. Später waren die Franzosen und Ostarbeiter bei Privatleuten zum Arbeiten bei Kost und Logis untergebracht. Hier hatten es die Fremdarbeiter meistens gut getroffen. Die Kriegsgefangenen bzw. Zivilarbeiter/Ostarbeiter gingen mit Flechtarbeiten, selbstgebasteltem Spielzeug und kleinen Kunstwerken durchs Dorf, um diese Dinge gegen ein Stück Brot zu tauschen. Betteln durften sie nicht. Bis heute bestehen noch freundschaftliche Beziehungen zu ehemaligen Gefangenen/Fremdarbeitern nach Frankreich und Polen.

Donsieders. Ein in Donsieders geborener Zeitzeuge N.N. berichtet. In den letzten Kriegsjahren war allgemein bekannt, dass in dem Zwangsarbeiterlager in der Nähe der Biebermühle schreckliche Zustände herrschten. Die Gefangenen waren total ausgehungert; es hielt sich hartnäckig das Gerücht, sie sollen vor Hunger sogar Menschenfleisch gegessen haben. Die Gefangenen durften das Lager nicht verlassen; zum Betteln taten sie dies aber doch, obwohl es verboten war. Ein führender Nazi in Donsieders ist mit großer Härte gegen die Elendsgestalten vorgegangen. Der Mutter des Zeitzeugen hat er mit Inhaftierung (KZ) gedroht, falls sie den Gefangenen weiterhin etwas zum Essen gebe. Dennoch hat mancher in Donsieders heimlich Essbares für die Gefangenen hinausgelegt. Der Zeitzeuge erinnert sich, dass ein Gefangener die von seiner Mutter heimlich hingestellte Suppe mit großer Gier verschlungen hat. Das Schicksal der meist aus der Ukraine stammenden Menschen erregte bei der Mehrheit der Dorfbewohner großes Mitleid. Allerdings trauten sich nur wenige, ihrer Empfindung Ausdruck zu geben. Bei Kriegsende verschwand der rabiate Nazifunktionär, um Monate später ebenso plötzlich wieder aufzutauchen. An einem Sonntag kniete er plötzlich in der letzten Bank der katholischen Kirche und betete inbrünstig, was vorher nicht seine Gewohnheit war. Er hat sein Leben völlig verändert und bis zu seinem Tod als vorbildlicher Katholik gelebt. Dies wurde ihm zwar im Allgemeinen als Zeichen der Reue ausgelegt, brachte ihm jedoch weder die Sympathie der Dorfbewohner noch die des Zeitzeugen ein. Er betrachtet noch heute den inzwischen verstorbenen NS-Mann als Dreckskerl.

PS-Erlenbrunn. Die Zeitzeugin Frau B. berichtet: Frauen war der Kontakt mit Kriegsgefangenen strengstens verboten. Dennoch legten des Öfteren Frauen aus Mitleid einen Laib Brot auf einem Stein in der Nähe des Lagers ab. Die gefangenen Russen nahmen das Brot und stellten dafür einen selbstgeflochtenen Korb zum Mitnehmen hin.

PS-Gersbach. Zeitzeugen berichten: Die Zivilarbeiter/Ostarbeiter konnten in Kaiserslautern und im Durchgangslager (Dulag) Biebermühle abgeholt werden, wo sie in Viehwaggons hingebracht wurden. Die Ukrainerinnen und Ukrainer wurden im Dorf zu allen in der Landwirtschaft anfallenden Arbeiten eingesetzt. Manche hatten Familienanschluss. Der Bedarf an Arbeitskräften ist durch den Ortsgruppenleiter bzw. Ortsbauernführer vor Ort ermittelt worden. Eine Frau wurde mit dem Fahrrad von Gersbach zur Biebermühle geschickt, um von einem neu eingetroffenen Transport brauchbare Arbeiterinnen auszusuchen. Nach ihrem Bericht ließ das äußere Erscheinungsbild der angekommenen Frauen die Vermutung zu, dass sie Hals über Kopf und ohne Vorbereitung nach Deutschland verfrachtet worden waren. Manche Frauen waren noch im Schlafgewand. Eine Frau war schon über 60 Jahre. Diese Frauen haben sich kaum freiwillig gemeldet.


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