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Der Artikel wurde am 27.05.2016 veröffentlicht.


Das Schicksal des Kurt/Claude Levy aus Busenberg

Von Otmar Weber



Am Sonntag, den 5. Juni 2016, wird um 14.00 Uhr am jüdischen Friedhof Busenberg eine Informations- und Gedenkanlage eingeweiht. Auf der Gedenktafel sind die Holocaust-Opfer verzeichnet, die im Wasgau geboren sind, oder hier längere Zeit gewohnt haben. Unter den fast 70 Opfern befinden sich auch die Namen der Familie Leo Isaak Levy aus Busenberg.

Leo Isaak Levy, geboren am 12.05.1900 in Busenberg, Kirchstraße 4, war von Beruf Viehhändler. Am 09.03.1928 hat er Carola Meta, geborene Löb, geboren am 13.10.1904 in Schifferstadt, geheiratet. Sie hatten zwei Kinder, Kurt, geboren am 16.07.1930 und Hannah Barbara, genannt Hannele, geboren am 27.09.1935 in Busenberg.
Am 01.10.1938 hat Familie Leo Levy, gezwungen durch die Nazis, Busenberg verlassen. Kurt zog mit seinen Eltern, seiner Schwester und Oma Rosa Levy, geborene Schwarz, nach Schifferstadt, Bahnhofstraße 48 (Synagoge), dem Heimatort seiner Mutter Carola. Fünf Wochen nach ihrer Ankunft erlebten sie in Schifferstadt die Reichspogromnacht. Ihr Möbel, das sie aus Busenberg mitgebracht und in der Synagoge deponiert hatten, diente als Zündmaterial für den Synagogenbrand. Leo Levy wurde verhaftet und in das KZ Dachau gebracht.
Am 09.02.1939 emigrierte Kurt von Schifferstadt nach Weißenburg zu seinem Großonkel Julius Schwarz. Hier bekam Kurt von Emmy Schwarz, seiner „zweiten Mutter“, den Namen Claude. Seit dieser Zeit, bis zum heutigen Tag, trägt Kurt den Namen Claude. Emmy Schwarz, Tochter von Julius Schwarz, war Zahnärztin in Karlsruhe und später in Limoges/Frankreich, wo sie nach dem Kriege geblieben ist.

Zu Beginn des Krieges wurde die Weißenburger Bevölkerung in die Gegend von Limoges/Frankreich evakuiert. Kurt ging mit der Familie seines Großonkels Julius Schwarz aus Busenberg nach Limoges. Als 1942 die deutschen Truppen auch das freie Frankreich besetzten und im Dezember 1942 nach Limoges kamen, mussten sich die Juden verstecken. Kurt hauste in Limoges auf einem Speicher. Um ihn vor den Deutschen zu schützen, bekam er eine neue Identität. Er erhielt gefälschte Personalpapiere, die ihn als „Claude Leroy aus Algier“ auswiesen. Claude fand während des Krieges in einem Schülerpensionat in St. Leonhard bei Limoges Unterschlupf. Nach dem Krieg kam er auf ein Schülerpensionat in Grenoble.
Am 22.10.1940 wurden seine Eltern, seine Schwester Hannah Barbara und seine Großmutter Rosa von Schifferstadt nach Südfrankreich in das Lager Gurs deportiert.
Auf dem Transport nach Gurs hat Carola Levy ihrem Sohn Kurt geschrieben „Wir sind auf der Reise nach Amerika“. Sie war tatsächlich der Meinung oder mehr der Hoffnung, dass sie in die USA abgeschoben werden. Von Limoges aus schickten Claude und seine Verwandten Päckchen zu den Eltern in das Lager Gurs. Claude hat seine Eltern zwei Mal im Camp Gurs besucht. Das erste Mal zwischen Weihnachten und Neujahr 1940/1941 und das zweite Mal im Sommer 1941. Danach kamen die Eltern in das Lager Rivesaltes, wo sie bis zur Deportation am 23.09.1942 verblieben.
Oma Rosa wurde 1941 ebenfalls in das Lager Rivesaltes gebracht; von hier aus kam sie in das Lager Noé (ein Lager für ältere Personen, sie war über 70 Jahre alt); später kam sie in das Lager Nexon, wo sie das Kriegsende erlebte. Nach der Befreiung ging sie zu ihren Verwanden nach Limoges und wanderte 1946 in die USA aus. Claudes Schwester Hannah Barbara war bis zum 10.03.1941 im Lager Gurs und anschließend bei einer Familie in Montpellier. Danach kam sie zu einer Familie in Limoges. Später wurde sie zu ihrer Sicherheit in einem Kloster bei einer Kindergruppe versteckt. Die französische Organisation (O.S.E.) rettete Hannah 1941 durch einen abenteuerlichen Transport über Spanien nach Palästina. In Palästina kam sie zu einer russisch-jüdischen Immigrantenfamilie namens Levi, bei der sie aufgewachsen ist. Hier erhielt sie den Namen Chana.

Im September 1942 wollte Claude mit Großonkel Julius Schwarz seine Eltern im Camp Rivesaltes besuchen; sie unterließen jedoch die Fahrt, nachdem sie gehört hatten, dass die Juden aus diesem Lager deportiert werden. Dadurch sind beide möglicherweise der Deportation entgangen.
Am 13.09.1942 wurden Leo & Carola Levy vom Lager Rivesaltes in das Durchgangslager Drancy/Paris gebracht. Ein Rabbiner aus Straßburg, der wie alle Elsässer Juden in die Region um Limoges gebracht worden war, konnte noch mit Leo & Carola Levy sprechen, bevor der Zug nach Drancy weiterfuhr. Am 16.09.1942 wurden Leo & Carola Levy mit dem Transport Nr. 33 in dem Zug Nr. D 901/28 um 08.55 Uhr ab Drancy/Paris nach Auschwitz deportiert. Carola Levy ist 1942 in Auschwitz umgekommen. Leo Levy, wurde in Cosel (bei Auschwitz) zusammen mit weiteren 300 arbeitstauglichen Männern zum Arbeitseinsatz ausgesondert und auf einem LKW nach St. Annaberg gebracht. Er war in Auschwitz III als Arbeitssklave eingesetzt.
Leo Levy hat aus Auschwitz mehrere Postkarten an seine Nachbarn (Familie Sturm) in Schifferstadt geschrieben und um Geld und Lebensmittel gebeten. Im Juni 1944 kam die letzte Karte von Leo Levy aus Heydebreck in Oberschlesien an Familie Sturm. Darin bat Leo um ein Päckchen mit Lebensmitteln und etwas Geld; er teilte mit, dass er seit 1 ½ Jahren seine Frau nicht mehr gesehen habe. In Heydebreck/Oberschlesien hatte die „Badische Anilin & Sodafabrik“ (IG-Farben) Produktionsstätten, in denen Auschwitzhäftlinge beschäftigt waren. Danach kam kein Lebenszeichen mehr. Leo Levy gilt als verschollen.
Claude Levy hat von 1945 bis 1949 in Grenoble eine Internatsschule besucht. Von 1950 bis 1952 absolvierte er seine Militärzeit als französischer Soldat in Wittlich. Während dieser Zeit hat Claude sowohl Schifferstadt als auch sein Elternhaus in Busenberg, Kirchstraße 4, für einen Tag besucht. Damals bekam Claude von Familie Sturm in Schifferstadt Briefe und Karten ausgehändigt, die sein Vater bis Mitte 1944 aus dem KZ Auschwitz geschrieben hatte.

Im Jahre 1952 ging Claude nach Weißenburg und von da nach Paris. 1957 traf er sich in Paris erstmals mit seiner Schwester Hannele, die in Israel lebte und jetzt Chana hieß. Zwischen beiden herrschte Sprachlosigkeit: Hannele sprach nur Iwrit (Neu Hebräisch) und hatte keine Erinnerungen mehr an ihre Kindheit in Busenberg und Schifferstadt. Sie konnte sich nur noch vage an ihre Mutter erinnern. Claude sprach Französisch. Seine Frau Simone, die Englisch sprach, versuchte das Gespräch mit Chana, die etwas englisch konnte. Zu einer echten sprachlichen Verständigung kam es aber nicht, da ein Übersetzer, der Iwrit beherrschte, fehlte. Damals besuchte Claude mit Chana auch Schifferstadt. Durch die schrecklichen Erlebnisse während der NS-Zeit und durch die verschiedenen Lebensläufe der Geschwister gestaltete sich der Kontakt schwierig.
Chana hat in Israel geheiratet und bekam zwei Kinder. Sie starb 1997 mit 62 Jahren.
Claude zog 1952 nach Paris und arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei der Autofirma Renault. Am 12.12.1953 heiratete Claude in Paris seine Frau Simone, geborene Levy, geboren am 27.10.1932 in Weißenburg. Am 02.09.1961 wurde ihre Tochter Catrine Carola in Paris geboren.
Am 12.12.1994, an ihrem Hochzeitstag, ist Simone Levy in Paris gestorben. Sie ist auf dem jüdischen Friedhof in Weißenburg beerdigt, wo auch Claude einmal neben seiner Frau seine letzte Ruhestätte haben wird.

(Der Bericht basiert im Wesentlichen auf Interviews, die der Verfasser mit Claude Levy in der Zeit von 2002 bis 2012 geführt hat und auf Recherchen von Dr. Emil Georg Sold, Schifferstadt)

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