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Der Artikel wurde am 03.06.2016 veröffentlicht.


Flucht nach Polen bringt keine Rettung – Hauensteiner Familie Jarochowsky



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Arbeitskreis Judentum im Wasgau

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Textmanuskript (zur historisch-wissenschaftlichen Verwendung):

Flucht nach Polen bringt keine Rettung - Hauensteiner Familie Jarochowsky

Von Otmar Weber



Am Sonntag, den 5. Juni 2016, wird um 14.00 Uhr am jüdischen Friedhof Busenberg eine Informations- und Gedenkanlage eingeweiht. Auf der Gedenktafel sind die Holocaust-Opfer verzeichnet, die im Wasgau geboren sind oder hier längere Zeit gewohnt haben. Unter den fast 70 Opfern befinden sich auch die Namen der Familie Jarochowski aus Hauenstein. Der Vater, Ludwig Jarochowski, und acht seiner Kinder sind im Warschauer Ghetto umgekommen.

Ludwig Jarochowski, geboren am 20.04.1892 in Osorkow bei Lodz (damals Russland, heute Polen), kam 1911 als gelernter Schäftemacher nach Hauenstein. Er war jüdischen Glaubens und ist in Hauenstein zum kath. Glauben konvertiert. Ludwig Jarochowski war bis 1937 bei der Firma C. A. Seibel als Schäftemacher und Steppmeister beschäftigt. Er war zweimal mit katholischen Frauen verheiratet.
1913 hat Ludwig Jarochowski in erster Ehe Lina Brandenburger aus Völkersweiler geheiratet, die er als Schuhfabrikarbeiterin in Hauenstein kennengelernt hat. Nach der Heirat wohnten sie in Völkersweiler. Aus dieser Ehe stammen drei Töchter, Irma, Anna und Rosa. Lina Jarochowski ist am 12.04.1920 nach der Geburt ihres dritten Kindes an Tuberkulose gestorben.
Am 11.12.1920 heiratete Ludwig Jarochowski in zweiter Ehe Barbara Haus, eine Cousine seiner ersten Frau, die ebenfalls aus Völkersweiler stammte. Barbara Haus, geboren am 18.03.1899 in Völkersweiler, arbeitete bei ihren Eltern, Peter und Maria Josefa Haus, in der Landwirtschaft in Völkersweiler. 1927 ist Ludwig Jarochowski von Völkersweiler nach Hauenstein verzogen, wo er mit seiner Familie bis 1937 in der Burgstraße 61 im Haus der Familie Philipp Braun gewohnt hat.
Barbara Jarochowski führte den Haushalt der Großfamilie. Die Kinder gingen in Hauenstein zur Schule, hatten hier ihre Freunde und waren, wie die ganze Familie, in die Dorfgemeinschaft integriert. Während der Zeit in Deutschland gingen aus dieser Ehe sechs Kinder hervor. Thekla, Philipp und Reinhold sind in Völkersweiler, Walter Wilhelm, Herbert Alfons und Josef Friedrich in Hauenstein zur Welt gekommen.

Nach Hitlers Machtergreifung, am 31. Januar 1933, begannen die Schikanen durch die Nationalsozialisten für die Familie Jarochowski. Auf Druck der DAF (Deutsche Arbeitsfront) verlor der Jude Ludwig Jarochowski seinen Arbeitsplatz bei der Firma C. A. Seibel. Die Kinder wurden in der Schule schikaniert. Die älteren Töchter durften nicht mit Jungs gehen. Örtliche SA-Männer marschierten wochenlang und mehrmals täglich in der Burgstraße vor dem Haus Nr. 61 auf und ab und skandierten ihre antisemitischen Schmähungen: „Juden raus!“ und „Juden sind unser Unglück!“. Als das Leben in Hauenstein durch die Nazis für den Juden Ludwig Jarochowski und seine Familie immer unerträglicher wurde, befolgte Ludwig Jarochowski, der die polnische Staatsbürgerschaft besaß, den wohlgemeinten Rat von Ortspfarrer Georg Sommer und zog im Juni 1937 nach Polen in seinen Heimatort Osorkow bei Lodz und von da nach Bromberg (heute Bydgoszcz). Am 28.08.1937 ließ er seine Frau und die neun Kinder nachkommen, die ebenfalls die polnische Staatsbürgerschaft besaßen. Frau Barbara Jarochowski war um diese Zeit hochschwanger. Die Familie durfte insgesamt zwei Zentner Wäsche und Kleidung mitnehmen. Alles andere musste zu einem niedrigen Preis verkauft werden.
Nach großen Anfangsschwierigkeiten ging es der Familie Jarochowski etwas besser, weil Ludwig Jarochowski und vier seiner Töchter Arbeit gefunden hatten. Am 20.11.1937 kam mit Tochter Maria das zehnte Kind zur Welt.

Mit Hitlers Überfall auf Polen am 01.09.1939 und der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht begann die Leidenszeit und Vernichtung der Familie Jarochowski. Ludwig Jarochowski wurde wegen seiner jüdischen Abstammung verhaftet, für 10 Monate ins Gefängnis gebracht und kurz vor Weihnachten 1940 entlassen. Am 06.02.1941, 2.00 Uhr nachts, musste die gesamte Familie, mit dem an Lungenentzündung erkrankten Vater, binnen 10 Minuten die Wohnung verlassen. Bei Widerstand drohte man mit Erschießung. Bei Eis und Schnee wurde die Familie Jarochowski in das Sammellager Potolitz gebracht, wo sie in einem mit Stroh ausgelegten Raum mit mehreren hundert Personen zusammengepfercht hausen mussten. Ludwig Jarochowski und sein ältester Sohn Philipp wurden hier misshandelt. Nach sechs Wochen im Lager Potolitz wurde die Familie in das Warschauer Ghetto gebracht. Hier hausten sie in einem Keller unter primitivsten Verhältnissen. Die kleine Maria erkrankte an Lungenentzündung und der schwerkranke Vater kam ins Krankenhaus.
Frau Jarochowski wurde als Arierin von der Gestapo mehrfach aufgefordert, das Ghetto zu verlassen, aber sie blieb und trug den Judenstern. Am 20.11.1941 kam Frau Jarochowski mit Typhusverdacht in ein Warschauer Krankenhaus. Zwei Tage später, am 22.11.1941, starb ihr Mann Ludwig im Ghetto. Nach sechswöchigem Krankenhausaufenthalt kehrte Frau Jarochowski zu ihren kranken und hungernden Kindern zurück. Dem ältesten Sohn Philipp gelang die Flucht aus dem Ghetto. Mit falschen Papieren kam er in Lublin zum Arbeitseinsatz bei der Organisation TODT (eine paramilitärische Bautruppe benannt nach ihrem Führer Fritz Todt). Von da gelangte er als Ostarbeiter nach Deutschland, wo er in einer Zuckerfabrik bei Magdeburg Arbeit fand.
Frau Jarochowski musste wegen Ruhr erneut ins Krankenhaus. Die Kinder waren auf sich alleingestellt und mussten großen Hunger leiden. Sie bemühten sich unablässig bei der Gestapo um Entlassung aus dem Ghetto, weil die Mutter krank und der Vater tot war. Die Gestapo gab schließlich die Erlaubnis und alle Kinder kamen in ein Außenlager. Tochter Rosa meldete sich als polnische Landarbeiterin zur Arbeit in Deutschland. Sie hatte Glück und kam in einer Mühle mit Landwirtschaft in Gadow, Kreis Bad Oldesloe, zum Arbeitseinsatz, wo sie bis Kriegsende blieb.
Am 16.08.1942, um 4.00 morgens, wurden die acht verbliebenen Kinder aus dem Lager abgeholt. Als Frau Barbara Jarochowski aus dem Krankenhaus zurückkam und nach dem Verbleib ihrer Kinder fragte, erhielt sie von der Gestapo die Antwort, dass die Kinder freigelassen wurden. Bis zu ihrem Lebensende erhielt Barbara Jarochowski kein Lebenszeichen mehr von ihren Kindern. Als es Frau Jarochowski gesundheitlich wieder besser ging, arbeitete sie beim deutschen Militär, um zu überleben.
Durch die Bemühungen ihrer Verwandten in Völkersweiler durfte sie im Juni 1944 nach Deutschland ausreisen und als polnische Arbeiterin bei ihrem Bruder in Völkersweiler wohnen, wo sie bis Kriegsende blieb.

Nach dem Krieg ging Barbara Jarochowski sofort wieder nach Bromberg/Bydgoszcz zurück, um ihre Kinder zu suchen. Sie fand Rosa und Philipp, die beide den Holocaust überlebt hatten. Erst jetzt erhielt Barbara Jarochowski von einem Polen, der im gleichen Lager wie ihre Kinder gearbeitet hatte, die schreckliche Gewissheit, dass ihre acht Kinder im August 1942 in einem Schulhof erschossen wurden.
Im Jahre 1958 durfte Barbara Jarochowski mit Hilfe ihrer Verwandten nochmals ihre pfälzische Heimat besuchen. Im Januar 1971 ist sie in Polen gestorben.
Seit dem 8. Mai 2005 erinnert die Gemeinde Völkersweiler mit einer Gedenktafel auf einem Sandsteinfindling an das tragische Schicksal der Barbara Jarochowski, geborene Haus.

Ludwig Jarochowski und acht seiner Kinder sind im Warschauer Ghetto umgekommen:
Ludwig 1892 - 1941 (49 Jahre)
Irma 1914 - 1942 (27 Jahre)
Anna 1917 - 1942 (25 Jahre)
Thekla 1922 - 1942 (19 Jahre)
Reinhold 1926 - 1942 (15 Jahre)
Walter Wilhelm 1929 - 1942 (12 Jahre)
Herbert Alfons 1931 - 1942 (10 Jahre)
Josef Friedrich 1933 - 1942 (8 Jahre)
Maria 1937 - 1942 (4 Jahre)

Der Bericht basiert im Wesentlichen auf einem Interview, das Alfred Klemm im Oktober 1983 mit Frau Rosa Jarochowski in Hauenstein geführt hat und auf eigenen Recherchen.

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